Alle Menschen haben Angst (besonders die, die dir Angst machen)

 

Wer einmal so richtig unter Angst litt, verfällt leicht dem Irrglauben, dass nur man selbst Angst hätte. Laute, unangenehme Menschen, seien es welche im Supermarkt, in der Bahn oder im Job werden schnell in den Topf der Angstlosen, Furchtlosen und Zurechtkommenden gesteckt. Du hingegen empfindest dich “voller Angst”, kleiner, hilfloser, wehrloser, in einer Opferposition, eventuell zum Gehorsam gezwungen und musst Anpassung demonstrieren, als gäbe es Strukturen, in die du dich einfügen müsstest, um zu überleben.

 

Über die Wucht anderer Menschen und die Angst, die sie ausstrahlen

brav und lieb sein wollen aus der kindheitWenn man Angst hat oder ein intuitiver, empathischer, empfindsamer, hochsensitiver und hochsensibler Mensch ist, spürt man die “Wucht” anderer Menschen stärker und länger. Die Konzentration liegt bereits auf Angst, weil Angst die Außenorientierung bevorzugt und gleichzeitig das, was im Außen geschieht, in uns “übersetzt” und in noch mehr Angst umwandelt – wie eine Schwingung, die sich erhöht.

Die besagten Menschen, ich werde sie ab jetzt “Riesen” nennen, erscheinen machtvoller, größer, einschüchternder, einflussreicher, wichtiger. Sie können in Form eines Vorgesetzten, Kollegen, Busfahrers, Fahrgasts, Kunden im Supermarkt oder gar des Partners, Elternteils usw. erscheinen. Sie flößen uns mit ihren versteckten Drohungen und ambivalenten Handlungen Angst ein und lassen uns Gänsehaut bekommen. Sie sind nicht auf Augenhöhe, sondern strahlen etwas Riesiges und Unüberwindbares aus, das überhöhten Respekt und Kleinsein verlangt. Wenn wir uns nicht schnell verkriechen oder lieb und artig sind, dann laufen wir Gefahr, dass sie uns in jedem Moment zermalmen. Wir haben Mühe, uns zu trauen, ein Wort gegen sie zu sagen. Deshalb unterlassen wir es aus Angst vor ihrer Reaktion häufig: Denn sie rufen Erinnerungen an früher ab. Vielleicht sind es Erinnerungen an die Ohrfeige des Vaters bei schlechten Zensuren, an den Liebesentzug der Mutter, als wir etwas Unüberlegtes taten, an die bösen Worte von Kindern, als wir selbst noch eins waren, an die Ablehnung uns naher Menschen, als wir Liebe und Zugehörigkeit brauchten.

Die Riesen haben alle eine Gemeinsamkeit mit dir und mir. Alle Menschen, die ein Gehirn haben, haben auch Angst. Alle Menschen mit einem Gehirn haben ein Angstzentrum (insofern dies nicht beschädigt ist) und haben damit selbst gespeicherte Angst und Glaubensmuster, Unsicherheiten und Zweifel, die aus ihren eigenen Erfahrungen und Verfehlungen herrühren. Denn: Alle Menschen wurden mit den angeborenen Grundgefühlen, u. a. Furcht in diese Welt geschickt. Sie haben daher auch die Fähigkeit, die Emotion Angst zu entwickeln. Hinzu kommt, dass jeder Mensch aus mehreren Abwehrmechanismen wählt, wie er mit seiner Angst umgeht. Das kann durch

  1. Distanzieren
  2. Rationalisieren
  3. Projektion
  4. Entwertung
  5. Psychopharmaka

geschehen. Jeder der Riesen wählt seinen Weg. Vielleicht mag es scheinen, als hätte der Riese keine Angst. Im Nachfolgenden beschreibe ich deshalb Beispiele, um die Riesen als normale Menschen zu enttarnen.

 

Beispiele für Angstabwehr durch Entwertung

Sie entwerten sich, uns und Angst als Gefühl. “Ich habe keine Angst! (hahaha) Ich doch nicht! Wovor sollte ich denn Angst haben? Vor Ihnen? Also bitte…” Das gibt demjenigen ein gutes Gefühl, hält seinen Selbstwert aufrecht und verleitet den Geist nicht dazu, zu glauben, dass man etwas nicht unter Kontrolle hätte. Indem man Menschen und Umstände abwertet oder entwertet, spielen wir uns vor, dass es ja eh nicht so wichtig sei oder der Job ja eh nur ein Sprungbrett sein sollte und man die neue Frau ja eh nicht so anziehend fand usw. “Alles halb so wild.”

Beispiele für Angstabwehr durch Distanzieren

In Distanzierungsmomenten versucht man sich durch Sätze wie “Komm zur Ruhe! Atme erst einmal tief durch!” von der plötzlich auftauchenden Angst zu entfernen, indem wir uns sagen, dass sie unangebracht sei. Man nimmt im wahrsten Sinne Abstand von der Situation und damit von seiner Angst. Distanzierung kann auch heißen, dass wir uns von einem Menschen distanzieren, der uns in eine Situation bringen könnte, die wiederum (eine alte) Angst auslöst. “Ich will keine Beziehung mit dir, weil du xyz bist/hast/tust und aus meiner Erfahrung weiß ich, dass ich das nicht nicht noch einmal möchte.” Um also aus alter Angst keine neu auftauchende zu machen, wählen wir Distanz und gleichsam Projektion.

Beispiele für Angstabwehr durch Projektion

Projektion ist damit ein Überstülpen eigener, alter Muster und Erfahrungen auf jemand anderen. Wir geben also jemand oder etwas anderem die Schuld, um vermeiden zu können, anstatt zu sehen, dass es an alten Wunden liegt, die wir am besten heilen könnten. Sogar ungelebte, nicht ausagierte Gefühle und Taten können wir projizieren. Wenn wir zum Beispiel ein richtiger Arsch sein können, wenn uns jemand zu nahe kommt, wir uns dieses Arsch-Verhalten aber nicht erlauben, agiert ein anderer Mensch uns gegenüber dieses Verhalten aus.

Beispiele für Angstabwehr durch Rationalisierung

“Du brauchst keine Angst zu haben! Drehe jetzt bloß nicht durch! Das war doch nichts Schlimmes!” Man redet sich ein, dass die Angst nicht legitim wäre, um mit dem Verstand in die Gefühlswelt einzugreifen und die Angst zu unterdrücken. Diese Abwehr ist eine gute, insofern man wirklich legitime und nicht legitime Angst voneinander unterscheiden kann. Doch oft analysieren und interpretieren wir auch Situationen und Menschen “tot” und suchen solange nach rationalen Begründungen, bis wir keine Angst mehr verspüren. Besonders einseitig verliebte Menschen kennen das gut, die sich in solchen Gesprächssituationen wiederfinden: “Er meldet sich bestimmt noch. Er mag dich doch. Das sieht man doch. Und letztens hat er dir doch auch Blumen geschenkt. Er hat bestimmt gerade viel um die Ohren.” Auch berufliche Umstände oder Erlebnisse, in denen man von einem Menschen entsetzt ist, können leicht rationalisiert werden, besonders bei Kritik: “Dein Chef hatte sicher nur einen schlechten Tag. Wenn das Projekt vorüber ist, dann geht es ihm besser und er wird sicher freundlicher.” Diese Abwehrmechanismen laufen auch in den Köpfen der Riesen ab, nur merkst du nichts davon.

 

Über Menschen, die dir Angst machen

Die negativen Riesen

angst sich zu zeigen projizierenAlle Riesen hatten eine Kindheit, vielleicht eine schlechte, von der du selbst nie etwas erfahren wirst. Sie hatten in der Schule ihre Schwierigkeiten, ihre schlechten Noten oder wenige Freunde oder Anschlussprobleme. Sie hatten Angst vor dem ersten Date, Angst wegen der ersten Trennung, Angst vor dem Schulabschluss, Angst, wenn die Eltern wütend waren, Angst, wenn sie sich zu wenig gekümmert haben, Angst vor mündlichen Leistungskontrollen, Vorträgen oder Klausuren in der Uni oder der Ausbildung, Angst davor, von einem geliebten Menschen abgewiesen zu werden, Angst davor, zu versagen, Angst vor ihrer Wut, ihren Fehlern, ihrer Schuld, Angst vor sich selbst, Angst davor, unwichtig zu sein, Angst davor, dass eine Frau sie übertrumpft, Angst davor, dass ein Mann sie anbrüllt.

Diese Riesen sind meist aus Angst negativ. Angst ist für sie negativ. Aufgrund ihrer Angst stauen sich negative Energien an und die bemerkst du, wenn sie brüllen oder vor dir stehen und dich nur einschüchternd ansehen. Sie wollen sehen, dass du Angst hast, denn hättest du keine, wäre ihre vermeintliche Macht dahin. Sie hätten keine Angriffsfläche mehr. Sie wären dann nur noch so wie du und ich. Sie haben zudem noch das “Problem” hinter ihrer Angst, das unaufgelöst ist. Denn sie fürchten in Wahrheit, dass sich eine Situation, die ihnen wehtat, wiederholen könnte. Das wollen sie mit allen Mitteln vermeiden und nutzen daher ihre Wut, die ihre Traurigkeit über etwas aus ihrer Vergangenheit schützt, die ihnen Angst machte, gegen dich und alle anderen Menschen. Sie fürchten, dass die Angst und Traurigkeit wieder an die Oberfläche gespült werden könnte. Um das zu verhindern, also in den alten Schmerz zurückzugehen und ihn erneut zu spüren, holen sie sofort ihre Wut und Zorn hervor und reagieren auf für sie schmerzhafte, neue Situationen, die alte Verwundungen neu aufreißen könnten.

Du siehst also: Diese negativen Riesen sind nicht größer. Sie sind so wie du und ich. Sie haben nur eine andere Form der Reaktion auf ihre eigene Angst. Wichtig ist auch zu wissen, dass du ihnen (ohne es zu merken) Angst machst und sie entsprechend mit Abwehr reagieren. Behalte das im Blick, sieh dir die Angst in ihren Augen an, hör dir die Stimme an, den Tonfall, sieh die Hände und ihre Beine, wie sie stehen, gebeugt, mit gesenktem Kopf oder einem arroganten, abwehrenden Blick: Mach dir ein Bild von ihrer Angst und erkenne, wann, wie und vor allem, dass sie Angst haben. Was angsteinflößend aussieht, ist in Wahrheit verborgener Schmerz.

Manchmal kommt die Frage: Sollte ich diejenigen auf ihre Angst und Wunden ansprechen? Würde das unser Verhältnis bessern? Die Antwort kann ich schlecht geben, denn viele bügeln den Vorwurf der Angst einfach nur ab und “phh-en”: Wenn jemand “phh” macht und am besten noch mit den Augen rollt, dann ist das Angstabwehr in Form von Abwertung. Sie nehmen ihre Angst nicht ernst (vor dir), denn sie (dir) einzugestehen, würde bedeuten, dass sie sich in eine (in ihren Augen) schwächere Position begeben und das alles noch vor dir.  Es schmerzt sie, sich zu entblößen und in ihrer Angst (die sie nicht positiv interpretieren) durchschaut zu werden. Das ist für viele zu viel. Das sollte man auch respektieren. Aber du kannst mit dem Wissen um ihre Angst handeln, ganz proaktiv, und drumherum-agieren: mit Verständnis, Ruhe, Mitgefühl, Beharrlichkeit und deiner eigenen Abwehr.

 

Und obwohl ich manchmal Angst habe: Die positiven Riesen

ein leben im albtraum ist kein gutes leben sei böseEs gibt auch positive Riesen. Menschen, die uns zeigen, dass man Erkenntnisse gewinnen kann und aus ihnen lernen kann, mit der dennoch bestehenden Angst umzugehen. Das sind Menschen, die gelernt haben, mit Versagen, Fehlern, Ablehnung und Kritik umzugehen. Es sind “größer gewordene” Menschen, die lediglich durch Versuche und eigene Schritte erkannten, dass es trotz Angst möglich ist, sich in dieser Welt, sich selbst und anderen bewusst, voranzuschreiten und mit den negativen Geschehnissen umzugehen. Sie haben eine gesunde Einstellung entwickelt. Mit gesund meine ich, dass das Negative sie nicht krankmacht oder schwächt, abhält oder blockiert. Sie haben sich mit all ihren Verirrungen und Stolpern auf ihrem Weg dazu befähigt, ihre Gedanken dennoch ins Positive zu steuern, weil sie das Negative nicht weiterbrachte. Die negativen, destruktiven Gedankenmuster und Glaubenssätze, das haben sie erkannt, hielten sie ab und auf. Sie lernten also, dass das der falsche Weg ist. Sie wählten nicht den Weg des geringsten Widerstandes, sondern den, der trotz Mühen und Fehlschlägen, zu einem besseren Ziel führen würde. Ihr Glaube, der sich daraus entwickelte, trägt sie, in allem, was sie tun. Sie lassen sich nicht mehr aufhalten. Sie lassen sich nichts mehr einreden. Sie hören nicht mehr auf Menschen, die sich aus Angst aufhalten lassen. Sie hören nicht mehr hin, wenn jemand versucht, sie aufzuhalten, wegen seiner eigenen Angst.

Sätze wie: “Das ist aber gar nicht so leicht!” oder “Wenn das nur so einfach wäre!” kennen sie nicht mehr, wenn dann nur von anderen. Ihnen ist egal, was ihnen auf dem Weg geschieht. Sie nehmen alles in Kauf: Kritik, Versagen, eigene Fehler, Tiefschläge, Ablehnung, Enttäuschung, Leid. Sie betrachten die Welt sozusagen fast schamanisch: Der eigene Weg hält auch Leid bereit, aber Heilung bedeutet, dieses Leid anzunehmen und nicht mehr darunter zu leiden. Es ist also wie ein Schmerz, den man bewusst annimmt, falls er kommt, und genauso bewusst wieder gehen lässt. Sie laufen nicht mehr davor weg. Angst läuft sozusagen unbewusst oder bewusst mit durch, aber immer nur hinten in der Reihe. Am Zuge sind Freude, Überraschung, Motivation und Wille, Glaube und die Erkenntnis, dass gleich, was passieren mag, es immer eine Lösung geben wird.

 

Induzierte Angst

ständig müde erschöpfungssyndrom fatigue syndromFür negative Riesen ist die Lösung, dass du den Mund hältst bzw. gefügig bleibst. Und das erreichen sie alleinig mit Angstgehasche, Manipulation, ungerechtfertigter Wut oder gar Lügen. Es gibt viele, die das Selbstbehauptung nennen, aber in Wahrheit verbirgt sich dahinter nur Angst. Eine gesunde Selbstbehauptung besteht aus einer gesunden Kommunikation und dem unterliegenden gesunden Selbstwert. Das meint Respekt, Erinnerung an seinen Wert, Erinnerung an seine Werte und Bedürfnisse und die Fähigkeit, für sich einzugestehen, völlig egal, wer vor einem steht. Negative Riesen sind sozusagen unfähig zu einer gesunden Selbstbehauptung, denn sie brauchen ihre Angst, die sie an andere weitergeben. Sie wehren ihre Angst ab, indem sie Menschen, die verletzen könnten, abwehren oder Kritik an sich selbst bagatellisieren, um nicht verantwortlich zu sein, fehlerfrei zu bleiben, unschuldig zu bleiben usw.

Eine letzte Erinnerung möchte ich an dieser Stelle noch mitgeben: Nicht alle negativen Riesen sind durchweg negativ. Es kann sein, dass schlechte Beziehungserfahrungen, gerade aufwühlende Lebensumstände oder abnehmender Stress keine gute Zeit für Kritik, Dates oder deine Anliegen sind. Viele Menschen reagieren dann mit Abwehr, Ablehnung, Flucht, Bagatellisieren, um sich “nicht gezwungen” oder eingeengt zu fühlen. Wenn man Menschen genauestens beobachtet, kann man leicht erkennen, ob das gerade der Fall ist oder ob der Riese wirklich negativ ist.

Beim letzten Fall empfehle ich dir Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg.

Liebe Grüße,
Eure Janett

Janett Menzel Angst Blog

 

Coach für Frauen und Männer bei Ängsten

Janett Menzel

Mentorin | Life & Love Design

Expertin für Bindungsangst und Kommunikation in Partnerschaften, Emanzipationswunden, transgenerationale Muster, Wer bin ich? Wer will ich sein? (Identitätsbildung), dysfunktionale Familien (Mutter- und Vaterwunden), Hochbegabung – Hochempathie – Kreativität & Angst, Trainerin für individuelle Meditationen und Tiefen-Entspannungstechniken. Anfragen und Beratungen >>

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