Das Gewissen der Empathen & der eine Mensch, den wir überwinden müssen

 

Wir Empathen haben alle einen Menschen, dem gegenüber wir ein schlechtes Gewissen haben: sei es ein Elternteil, ein vergangener Partner, ein Partner, der einer werden sollte, aber nicht wurde, ein Mensch, von dem wir uns wegen seiner Energie fernhielten, ein Freund, von dem wir uns trennten oder jemand anderes, der uns ein schlechtes Gewissen machte. Wir mögen es gar nicht, als schlechter, nicht hilfsbereiter und nicht liebender Mensch dazustehen. Wir lieben und wir leiden mit und springen besonders auf Menschen an, die leiden und geliebt werden wollen. Wir können es sehr schwer ertragen, Menschen zurück zu lassen, uns zu trennen oder uns abzugrenzen, zu verletzen oder Verletzungen, die wir selbst kennen, zuzufügen. Auch wenn es sein muss – unseretwegen.

 

Empathen und wieso sie sich selbst doppelt so stark verletzen, wenn sie jemandem wehtun

einsamkeit empathen spüren leid andererNoch Jahrzehnte später können Empathen darunter leiden, dass sie jemandem Liebe, Zuneigung, Anerkennung oder Hilfe verweigert haben – mögen die Gründe auch noch so legitim gewesen sein. Es tut uns weh. Wenn wir nicht geben, was jemand braucht, verletzen wir uns selbst. In der Realität aber spüren wir nur dessen Verletzung, dessen Einsamkeit, die fremde Angst. Und natürlich war diese schon da, bevor wir überhaupt in seinem Leben ankamen. Dennoch ziehen wir uns den Schuh an. Wir machen gern Angelegenheiten wieder gut, die jemand anderes versaut hat. Wir mögen es, Menschen lachen und glücklich zu sehen, sie zu befreien und für ihr Wohl zu sorgen. Es gibt uns Kontrolle über das Leid der Welt und bemächtigt uns, einen Teil zu leisten, auf den sonst jeder sch****.

Der Gedanke, im Leben eines anderen Menschen negative Spuren zu hinterlassen, ist unerträglich. Als würden Scham und Schuld wie eine Lawine auf uns zurollen, versuchen wir liebend gern, alles wieder gerade zu drehen. Verhält sich einer schlecht, machen wir es wieder gut. Ist jemand einem Monster begegnet, sind wir da und tätscheln die Schulter. Ist jemand einsam, sind wir da und verbringen Zeit und schenken Zuneigung. Je einsamer unser Gegenüber, desto schmerzlicher wird es für uns, wenn wir nicht handeln.

 

Wenn wir die Einsamkeit eines Anderen spüren, wird es unerträglich

Als Autorin des Buches “Über die Kunst, allein zu sein” weiß ich, wie schwer Einsamkeit wiegt und wie drastisch sie sich anfühlt. Ich kann im Detail erklären, wie ich mich in einsamen Zeiten fühle und verhalte. Und ich weiß aus dem FF, wie sich andere fühlen und wie schwer es für mich auszuhalten ist, wenn sie unter ihrem Getrenntsein leiden. Überhaupt denke ich im tiefen Inneren, dass es nichts Schlimmeres für einen Empathen gibt, als einen anderen Menschen einsam und leidend zu sehen. In meinen Augen ist Einsamkeit verletzender und krankheitsverursachender als jeder Virus und jedes Bakterium, schlimmer als der Tod. Weil es so viel schwerer fällt, Einsamkeit hinter sich zu lassen und es so viel weniger Möglichkeiten gibt, offiziell Hilfe zu bekommen. Niemand sitzt vor seinem Arzt und sagt: “Ich bin einsam.” Es ist erstaunlicherweise selbstverständlich, dass wir alle für unser Wohl und unseren sozialen Kontakte allein zu sorgen haben. Und obwohl Einsamkeit die schlimmste Seuche unter allen ist und meiner Meinung nach das größte Übel und die eine Ursache für alle Leiden, tun wir sie ab.

Empathen können das spüren – wenn jemand versucht, seine Schmerzen zu überspielen, wenn jemand Nahestehendes oder jemand im Herzen einsam ist – egal, wie viele Tausende von Kilometer derjenige von uns entfernt ist. Und auch, wenn wir jemanden aus tiefstem Herzen lieben, auch wenn wir nie mit demjenigen zusammen sein könnten, können wir seine Gefühle, seine Einsamkeit spüren und sie sehr leicht mit unseren eigenen verwechseln. Das führt bei einigen meiner Klienten und Klientinnen bis in die Sucht und Selbstverletzung. Weil sie es einfach nicht aushalten – die fremden Gefühle. Sie versuchen sie stattdessen zu verdrängen und oft gelingt das besser, wenn sie Mittel der Dissoziation wählen – also solche, die ihnen erlauben, sich abgegrenzt davon wahrzunehmen, die Realität eher wie einen Traum wahrzunehmen. Weil es ihnen einfach wehtut, wenn sie wissen, dass sie für jemanden hätten da sein können, es aber nicht waren – nichts tun können, weil sie es nicht wollen – aus Selbstschutz. An sich selbst zu denken, was ja nicht nur normal, sondern auch ein Teil der gesunden Psychohygiene ist, wird plötzlich zu einem Versagen und charakterlichen Fehler.

Ganz besonders, wenn sie denjenigen mochten, aber nur nicht mit seiner Gefühlswelt zurechtkamen, wirkt sich die Welt des Anderen dramatisch auf ihr Gewissen aus. Wir Empathen haben hohe moralische Werte. Wir haben eine Gutmensch-Attitüde, die viele zum K****** finden. Aber so ist es einfach. So what.

 

Der eine Mensch, den ich selbst nach zwei Jahrzehnten noch täglich spüre

einsamkeit eines anderen spürenIch kann die volle Geschichte leider nicht erzählen, weil ich nicht ausschließen kann, dass er meinen Blog liest und ich ihm nicht zu nahe treten möchte. Aber so viel sei gesagt: Ich kenne ihn von früher und habe 20 Jahre nicht an ihn gedacht. Ich habe mein Leben gelebt – bis zu diesem einen Tag, an dem ich wieder aus heiterem Himmel an ihn denken musste. Und ihn schließlich mit meiner Intuition auch fand. Es war genau so wie oben beschrieben – er war einsam, ich fühlte mich schuldig wegen früher und ich wäre am liebsten in die Bresche gesprungen, aber mein Selbsterhaltungstrieb hielt mich davon ab. So ließ ich ihn wieder zurück und obwohl ich in mir weiß, dass es richtig war, trauere ich dennoch, weil ich nicht da war, als er mich brauchte.

Ich denke bis heute an ihn und kann die Gefühle kaum steuern, die zu mir herüberschwappen. Ich wünschte, ich könnte sie abstellen, aber es fällt schon schwer, sie überhaupt von meinen abzugrenzen. Keine Ahnung, ob er an mich denkt oder mich unbewusst oder bewusst beschuldigt, aber seine Gefühle sind da. Bis ich gemerkt habe, dass die Gefühle von ihm kommen und nicht von mir, vergeht schon eine gewisse Zeit. In dieser Zeit bin ich sehr destruktiv und habe das tiefe Gefühl, mir etwas zu geben und so viel Genuss wie möglich zu erleben. Ich drehe so richtig hoch und komme an einen Punkt, an dem ich IHN und MICH abgrenzend bemerke. Dann – und erst dann – kann ich die Grenze spüren und vollziehe sie auch. Aber bis dahin…puh.

So einen Menschen haben wir Empathen und auch Normal-Empathischen alle. Die neuen Menschen kommen nur in unser Leben, weil wir etwas Altes wiedergutmachen wollen. Für Empathen aber ist es besonders schlimm und weitragend – bis hin zur Aufopferung (die natürlich nur nach hinten losgehen kann!).

 

Die einzige Lösung, um sich davon zu befreien, ist…

…sich selbst zu vergeben und zu reflektieren, was man kann und was einem schadet. Es ist traurig, ja, zu wissen, dass das eigene Wohl zum Unwohl eines Anderen führt. Dennoch ist es wichtig, dass sich JEDER MENSCH selbst als einen betrachtet: Mensch zu sein heißt nun einmal, Fehler zu machen und nicht die ganze Zeit nur für andere zu wirken, sondern seine Seele zu füttern. Man muss für sich da sein und einstehen. Tut man das nicht, wird man zwangsläufig krank, weil man sich nicht mehr spürt.

verzeihen empathen vergeben dankbarkeitNur Empathen, die Selbstabgrenzung trainiert haben, können täglich für und wegen anderen Personen wirken. Nur die, die genau hinsehen und sich kennen, können unendlich geben, ohne zu leiden. Aber der Großteil leidet unter der erzwungenen und nötigen Aufmerksamkeit, die ihnen entzogen wird – besonders deshalb, weil Empathen so viel Aufmerksamkeit und Zuwendung sich selbst gegenüber benötigen. Um gesund zu bleiben und Frieden in sich zu spüren, müssen sie sich abgrenzen und für sich selbst wirken. Wird ihnen das verwehrt, weil die Aufmerksamkeit zu jemand anderen hingeht, dann geben sie Energie ab, die sie selbst für sich brauchen. Haben sie aber keine Energie mehr, dann fühlen sie das auch. Nicht nur ihre eigene Energielosigkeit wird dann problematisch, sondern auch die plötzliche Fülle des Anderen, der sich zumeist abwendet – weil er ja gefüttert wurde mit einer Energie, die nicht seine war. Darunter leiden Empathen noch mehr. Fehlende Dankbarkeit. Es scheint wie ein Teufelskreis.

Deshalb ist der Ausbruch – die Lösung – Vergebung sich selbst gegenüber, Dankbarkeit für die Zeichen, Lektion und nötige Wende und vor allem Vertrauen, dass es derjenige auch ohne einen schaffen wird.

Wie man die Gefühle des Anderen loswird, fragst du dich sicher.

Meiner Meinung nach ist der erste Schritt, anzuerkennen, dass derjenige in uns ist, eine Verbindung zu uns herstellt und wir eine zu ihm haben – auch mit Grund und Notwendigkeit, weil Wachstum, das nötig und sichtbar durch ihn wurde. Als zweiten Schritt verankere ich Vertrauen in das Gelingen von allem, was gelingen soll – auch in die Wirksamkeit desjenigen. Wenn er es schaffen will, glücklich werden möchte, wird er es werden – auch ohne uns. Das ist seine Verantwortung. Als Drittes sehe ich definitiv die Einsicht, dass wir keiner Fügung unterliegen. Wir sind in unserer Empathie austauschbar. Wem wir unsere Energie und Liebe schenken, entscheiden wir. Aber wenn wir jemanden füttern, dann sollten wir das nur aus Liebe tun, nicht aus Mitleid. Mitleid und Mitgefühl zu unterscheiden, so zeigte es kürzlich eine Studie der Berkeley Universität, ist entscheidend. Mitgefühl führt zu gutem Bewusstsein und Abgrenzungsvermögen, wohingegen Mitleid zu Gefühlen der Angst und Depression führe.

Auch wenn Selbstvergebung die größte Kunst ist, so glaube ich felsenfest, dass gerade Empathen die Kunst meistern können – wenn sie sich erlauben, für sich da zu sein und eben nicht alles zu müssen, nicht in die Isolation zu gehen, sondern sich mit geradem Rücken durchzusetzen und zu ihren Entscheidungen zu stehen – ganz ohne schlechtes Gewissen.

Ich freue mich, wenn du mich wissen lässt, was deine Geschichte ist und wie es dir mit deinem einen Menschen geht – und seinen Gefühlen, die zu dir herüberkommen.

Mit den besten Wünschen für dich,
Janett

Janett Menzel Angst Blog

 

 

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Janett Menzel

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Schattenarbeiterin, Expertin für Bindungsangst und Kommunikation in Partnerschaften, Emanzipationswunden, transgenerationale Muster, Wer bin ich? Wer will ich sein?, Mutter- und Vaterwunden, Hochbegabung – Hochempathie – Kreativität & Angst. Anfragen und Beratungen >>

 

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