Wenn “normal” nicht gut genug ist: Die Angst, nichts Besonderes zu sein

 

Wir sind alle nur Menschen. Wir werden geboren, erzogen, lieben, lachen, weinen, verlassen. Wir haben alle Angst vor etwas. Unsere Körper werden unweigerlich krank, unsere Körperfunktionen schwächer und irgendwann sterben wir. Keiner kann sagen, wie, aber dass wir sterben, ist unvermeidbar. In der Zwischenzeit werden wir getrieben von Bedürfnissen: Essen, Trinken, Fürsorge, Zugehörigkeit, Bewegung, Selbstausdruck, Spiritualität, Sex, Klarheit, Selbstvertrauen, Macht, Freude, Gesundheit. Darin sind wir alle gleich.

Doch es gibt Menschen, die wir besonders finden, oder die von sich glauben, sie wären etwas Besseres. Einige bleiben authentisch dabei, andere brauchen die erhöhte Stellung, um sich gut zu fühlen. Besäßen sie sie nicht, würden sie Angst bekommen: Angst, nichts Besonderes zu sein. Vielleicht wünschst du dir insgeheim, auch etwas Besonderes zu sein und die alltäglichen Dinge und lästigen Aufgaben, Menschen zu dienen, Arbeiten usw. nicht machen zu müssen, stattdessen in deinen Fähigkeiten, in deinem Wert erkannt zu werden. Auch darin unterscheiden sich andere nicht von dir.

 

Wenn “normal” nicht gut genug ist: Die Angst, nichts Besonderes zu sein

Wunsch, etwas Besonderes zu seinIn Wahrheit hegen alle den Wunsch, etwas Besonderes zu sein und in dem Besonderen, das wir sind bzw. können, erkannt und unterstützt zu werden. Bei denen, die sich deshalb über andere stellen, finden wir verhältnismäßig oft Züge/Dimensionen eines ungesund narzisstischen Verhaltens. Deshalb schreit im Netz auch alles Narzisst!, wenn sich jemand über einen anderen Menschen stellt und ihn herabwürdigend, missbräuchlich, emotionslos (lieblos und rücksichtslos) behandelt. Ihnen ist gemeinsam, dass sie ein geringes Selbstwertgefühl besitzen, welches sie konstant anheben müssen, meist auf die Kosten anderer, die sich diese “besonders = wertvoll ” und “nicht besonders = wertlos”-Kategorien unreflektiert haben einreden lassen. Solltest du auch so denken, dann ist dir diesen Denken antrainiert worden (in deiner Erziehung, Erfahrungen, durch die Gesellschaft/Kultur).

Einigen wurde es in die Wiege gelegt, dass sie erst gar nicht versuchen bräuchten, besonders zu werden. Sie würden ohnehin nichts Besonderes können. Und obwohl sie viele wertvolle Fähigkeiten haben, stellen sie sich nie in den Vordergrund oder verbergen ihre Kompetenzen. Anderen wird seit ihrer Kindheit eingeredet, dass sie anders, nämlich besser und besonders, wären. Wiederum anderen wird eingebläut, dass sie besser zu sein haben, um entsprechend behandelt zu werden.

Wir bewegen uns auf dieser Skala hin und her und die Balance entscheidet. Pendeln wir stets um ein Extrem, fühlen und verhalten wir uns auch extrem. Dabei haben wir alle unsere Anflüge von Selbstzweifeln und Größenwahn, zum Beispiel, wenn wir uns darüber aufregen, wieso jemand, den wir für weniger wertvoll halten, so viel wertvoller behandelt wird oder jemandem etwas leichter fällt als uns.

  • Wieso hat der so viel Geld und ich nicht? (Ich kann es genauso gut/besser und verdiene viel weniger.)
  • Wieso hat sie diesen Job und ich nicht? (Ich leiste noch viel mehr als sie.)
  • Wieso hat der diese wunderschöne Frau und ich bin Single? (Ich sehe doch viel besser aus oder bin viel liebenswerter.)
  • Wieso erfährt der so viel Aufmerksamkeit und Anerkennung und ich nicht? (Mein Beitrag ist viel wertvoller.)

Wir messen uns und dadurch entsteht Angst, die im besten Fall dazu motiviert, dass wir unsere Ziele verwirklichen. Im ungünstigen Fall lähmt sie uns und lässt uns gar nichts erst versuchen oder sie schiebt uns direkt in den Burnout.

Mit der Angst davor, nichts Besonderes zu sein, lähmen wir uns vorwiegend selbst. Es sind solche Gedanken, die dazu führen: Du bist nichts, wenn

  • du nichts Besonderes bist
  • nicht besser als X
  • nicht herausstichst
  • nicht schön, schlank, charismatisch usw. bist
  • nicht in einer Partnerschaft lebst (keinen Partner findest)
  • nicht Top-Karriere mit Familie und liebevoller Partnerschaft balanciert bekommst
  • nicht 5.000 Euro monatlich verdienst
  • nicht im eigenen Haus mit Hund und Hof und dickem Auto lebst
  • nicht deine Berufung lebst
  • u. v. m.

Die Angst, nichts Besonderes zu sein, flankiert durch unsere Gesellschaft wie ein Wirbelsturm und kaum einer prangert es an. Stattdessen werden Vergleiche noch gefördert.

Wo liegt nun der Unterschied zwischen denen, die vermeintlich viel mehr haben und denen, die kämpfen müssen oder sich schon ergeben haben?

 

Vermeintlich besondere Menschen denken nur “besonders”

Angst, nicht zu genügen, wenn man nur normal istSie verfügen vielleicht über mehr Mittel und Ressourcen, aber vor allem besaßen/besitzen sie den Glauben, sie wären (mindestens oder auf jeden Fall) genauso gut wie alle anderen und könnten genauso erreichen, was andere erreichten, zum Beispiel die hohe Position im Unternehmen, das hohe Gehalt, den Partner usw. Punkt. Das ist das ganze Geheimnis.

Doch (wahrer) Glaube ist nicht zu verwechseln mit Wert: Wer meint, mehr wert zu sein wegen seiner Besitztümer (auch Partner, Familie, Freunde, Anerkennung usw.), vergisst, dass er doch ein sterblicher und verletzlicher Mensch bleibt, der sich in nichts Wesentlichem von jemandem unterscheidet, der diese „Bereicherungen“ (momentan) nicht besitzt. Immerhin bringt jede Bereicherung auch ihre Nachteile mit sich: alles Gute kann auch schlecht werden oder von heute auf morgen ändert sich das Leben schlagartig. Nichts auf dieser Welt ist wahrhaftig sicher. Nicht einmal Selbstzweifel oder Angst.

Selbst, wenn man etwas besonders gut kann, man Jahre seines Lebens investiert hat, sich in der Fähigkeit zu perfektionieren, ist einem die höchste Treppe keineswegs sicher. Andere werden einem folgen und ebenso Anerkennung für ihre Fähigkeiten ernten. Während man nicht vergessen wird, wird man aber sicher kurz verblassen. Man muss am Ball bleiben, sich als gleichwertig ansehen, den Glauben an sich und sein Ziel im Fokus behalten, sich für andere (wie für sich) freuen und sich im besten Fall weder mit Neid, Gier, Frust noch Eifersucht bekleckern.

Wenn du das nächste Mal traurig oder zweifelnd bist, wieso einige Menschen mehr haben als du oder es dich ärgert, dass dich jemand vermeintlich Besseres von oben herab behandelt, erinnere dich daran:

Neid ist okay. Neid zeigt dir deine Wünsche. Gönne sie dir. Gönne sie den anderen Menschen ebenso. Doch Menschen, die dich wertloser behandeln, haben Angst davor, nicht besonders zu sein und nicht besser als alle anderen. Wenn du andere abwertest, begibst du dich auf dieselbe ängstliche Ebene, aus deiner eigenen Angst heraus, nichts Besonderes zu sein. Vielleicht kennst auch du diese Angst bewusst von dir und magst sie so gar nicht leiden? Wenn wir etwas nicht mögen, wehren wir es ab. So bewältigen Menschen ihre Angst. Aber eventuell heißt Bessersein für dich/die anderen “genug”. Denn nur “gut” zu sein, ist eventuell unzureichend? Dann tut es ihnen gut, das zu glauben, denn es schürt keine Ängste. So haben sie das Gefühl, dass sie eher den Herausforderungen und Stürmen des Lebens gewappnet wären. Es ist ihre Art, dem Leben und sich zu begegnen. Nur in dieser unterscheiden wir uns.

Werden die Stürme deshalb ausbleiben? Nein.

Werden sie weniger stark ausfallen? Nein.

Werden sie leichter mit ihnen umgehen können? Keineswegs.

 

Was du von besonderen Menschen lernen kannst

Es tut gut, zu verstehen, dass wir alle gleich sind und niemand wertvoller bzw. wertlos.

Jeder muss durch eigene Lernprozesse hindurch, beschreitet seine Wege zu seiner Begabung/Befähigung/Perfektion, so mancher hatte Gönner oder ein wenig mehr Atem. Aber kein Mensch kommt besser oder wertvoller oder besonderer auf die Welt.

Es sind immer unsere Taten und wie wir sie für unser Leben und diese Welt einsetzen, die unseren Wert bestimmen. Die Entscheidung zu diesen Schritten kommt dabei von dir. Ein hochbegabtes Kind wird lernen müssen, dass ihm seine Begabung wenig nützen wird, wenn es sie nicht einsetzt. Lässt es sie unbeachtet und glaubt, das Glück würde schon vom Himmel fallen, wird es eher aus allen Wolken fallen. Wenn du deine Fähigkeiten unausgereift lässt oder die Lernprozesse, die nötig sind bis zur Expertise, abwehrst, bleibst du auf deiner jetzigen Treppe stehen. Das ist okay, wenn es für dich okay ist. Du bestimmst deinen Wert – kein anderer, auch die nicht, die Angst davor haben, selbst nur ein normaler, sterblicher und verletzlicher Mensch zu sein.

Expertise ist aber nie nur beruflich, sondern immer auch persönlich. Werde zuerst ein Experte in Bezug zu deinem Selbstbild und Selbstwert. Vertraue dir zuerst und prüfe die Worte anderer. Erkenne die Angst des Anderen, bevor du dir die Notwendigkeit zu Selbstzweifeln einredest. Werde ein Experte für dich und widme dich dann deine Fähigkeiten.

Denke auch an die Schattenseiten des „Besonders-seins“: Viele würden so einiges machen, um aufzufallen, um aus der Masse herauszustechen und von anderen als anders, besonders, wichtig und bedeutsam wahrgenommen zu werden. Das geht weit über Akzeptanz hinaus. Es hängt zum einen mit den menschlichen Grundbedürfnissen nach Anerkennung und Status, Wettbewerb, Macht und nicht zuletzt Zugehörigkeit zusammen. Zum anderen haben viele Menschen in ihrer Vergangenheit bereits Ablehnung und Vernachlässigung erlebt und davon Wunden mit in ihr erwachsenes Leben getragen. Diese Wunden sind es oft, die das Bedürfnis nach Anerkennung und Wichtigkeit nähren. Sie wollen erfüllt werden, haben sie doch einen Sinn, der oft als tragend erscheint, um zufrieden zu sein. Wir würden uns beispielsweise endlich angekommen fühlen oder respektiert, gesehen und ernst genommen, wertgeschätzt statt ignoriert, übersehen oder gar missachtet bzw. nicht beachtet. Es suggeriert, dass man keine Achtung verdient hätte. Deshalb ist deine Selbstachtung umso entscheidender.

Das Besonders-Sein hat auch Schattenseiten inne: Fragt man Hochkreative oder Hochbegabte, wird man oft Folgendes hören: „Ich würde alles tun, um nicht aufzufallen, um ein ganz normales Leben zu leben und damit glücklich zu sein.“ Es ist also immer gut, sich auch die Kehrseite anzuschauen oder zumindest zu hinterfragen, wieso man anders, besser, besonderer sein möchte als der Rest der Welt. Hast du deine Antworten darauf schon gefunden? Hinterlasse mir einen Kommentar!

Coach für Frauen und Männer bei Ängsten

Janett Menzel

Mentorin | Life & Love Design

Expertin für Bindungsangst und Kommunikation in Partnerschaften, Emanzipationswunden, transgenerationale Muster, Wer bin ich? Wer will ich sein? (Identitätsbildung), dysfunktionale Familien (Mutter- und Vaterwunden), Hochbegabung – Hochempathie – Kreativität & Angst, Trainerin für individuelle Meditationen und Tiefen-Entspannungstechniken. Anfragen und Beratungen >>

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