Vaterwunden bei Frauen: Die männliche Ahnenlinie heilen

Vaterwunden bei Frauen – die fehlende, verletzende oder ungesunde Beziehung zum Vater – wirken nicht nur biografisch, sondern transgenerational über Jahrzehnte hinweg: Kriegserfahrungen, patriarchale Erziehungsideale, emotionale Sprachlosigkeit oder Abwertungen werden weitergegeben. Sie hinterlässt Spuren im Selbstwert, in Beziehungen, in der Weiblichkeit und viele Frauen tragen unbewusst die Schatten der Vatenwunde in sich. Doch was geschieht in einer Frau, deren Vater emotional abwesend war, kalt, idealisiert – oder schlicht nicht erreichbar? Was geschieht in einer Familie, in der männliche Stärke gleichgesetzt wurde mit Schweigen, Kontrolle oder Verdrängung?

In diesem Artikel erfährst du

  • wie sich die männliche Ahnenlinie auf Frauen auswirkt
  • welche psychologischen und systemischen Mechanismen hinter Vaterwunden bei Frauen stehen
  • und wie du alte Loyalitäten, verinnerlichte Ablehnung von Männern bis hin zu Männerhass oder Co-Abhängigkeit erkennen und transformieren kannst.

Denn: Es muss bei Vater-Tochter-Beziehungen die männliche Ahnenlinie mit betrachtet werden, um sie zu heilen, ansonsten prägt sie das Leben von dir als Frau auch zukünftig. Ein Text für Frauen, die mehr verstehen wollen als nur „mein Vater war schwierig“ – ein Text für alle, die die tieferen, kollektiven Wurzeln weiblicher Verstrickung mit männlicher Macht, Abwesenheit oder Idealisierung begreifen und auflösen möchten.

Vaterwunden bei Frauen

Über Vaterwunden bei Frauen: Was wir an der Oberfläche sehen

Bevor wir beginnen, tiefer in Vaterwunden einzusteigen, lohnt ein Blick auf das, was im Alltag kaum erkannt wird, und doch ständig mitschwingt. Denn Vaterwunden äußern sich selten dramatisch. Sie zeigen sich in den feinen Mustern: in deiner zurückhaltenden Stimme, in deiner Partnerwahl, in der Überforderung oder der Härte gegen dich selbst. Was wir an der Oberfläche sehen, sind also selten nur die Wunden selbst, sondern ihre symptomatischen Strategien wie Leistung, Kontrolle, Anpassung, körperliche Verfügbarkeit, emotionale Abwesenheit, übermäßiges Geben, Angst bzw. Schwierigkeit, zu empfangen, Angst vor Nähe usw. Was Frauen erleben, sind somit sowohl die Männer ihrer Gegenwart als auch die inneren Väter ihrer Vergangenheit. Die folgenden Merkmale helfen dir dabei, einzuordnen, ob und wie deine Beziehung zum Vater – und die männliche Ahnenlinie – noch heute in deinem Leben wirkt.

Typische Anzeichen, dass du eine Vaterwunde hast

  • Ängste und Misstrauen gegenüber Männern – gepaart mit gleichzeitiger Idealisierung oder Angst vor Nähe. Viele reflektierte Frauen berichten von einer tief sitzenden Sorge, Männern zu vertrauen, oder gar von Zynismus gegenüber väterlichen und männlichen Rollen. Unbemerkt haben sich Ressentiments aufgebaut, da ein ‚normaler‘ Vater nie erlebt wurde. (Die Ursache – elterliche Verletzung – bleibt oft unbewusst.) Dieser verinnerlichte Misandrie-Effekt (Männerverachtung bis hin zu Männerhass als Konsequenz) wurde mehrfach in der feministischen Literatur thematisiert – und er ist zeitgleich sehr paradox: Wir stellen sie dennoch auf ein Podest, erheben sie über uns – und erleben unsere eigene Angst vor ihrer Nähe, vor der Wirklichkeit. Bedeutet: Dein Misstrauen liegt im Unbewussten, deine Idealisierung im Sichtbaren/Bewussten. Je näher dir ein Mann kommt, umso größer wird deine eigene Angst spürbar. Was du spürst, ist – neben Schmerz und Zweifel – eine ewig ungestillte Sehnsucht.

  • Hochleistung und Anpassungsdruck. „Gut genug“ zu sein wird mit Leistung verknüpft, weil Liebe bei vielen über Fürsorge oder Erfolg „erkauft“ wurde, wodurch ein starker Leistungszwang entstand. Zentral: Verwechslung von Liebe mit Anerkennung, Versorgung oder Aufmerksamkeit. Frauen neigen deshalb zu Perfektionismus, Selbstaufopferung und übertriebener Hilfsbereitschaft, verbunden mit dem inneren Glauben „Nur so verdiene ich Liebe“. Studien zu parentifizierten Töchtern (die, die zu früh elterliche Verantwortung übernahmen) zeigen ein starkes Bestätigungs-Syndrom: Sie fühlen ständig das Bedürfnis, Männern (und Frauen) zu helfen oder sie zu reparieren und knüpfen ihr Selbstwertgefühl ans Ergebnis und daran, fremde Erwartungen zu erfüllen. Dies führt zu Überlastung und dem Gefühl, nie genug zu geben oder nie „fertig“ zu sein.

  • Co-Abhängigkeit und „Retter“-Verhalten. Aus ähnlichen Gründen übernehmen Frauen unbewusst die Rolle der „Retterin“ in Beziehungen. Sie ziehen Partner an, die schwach oder instabil sind, um dann – wie einst ihren Eltern – Halt zu geben. Dafür muss es IMMER (um das Drama-Dreieck zu erfüllen) auch ein Opfer und einen Täter geben – etwas/jemanden, für und gegen den wir kämpfen. Meint: Dein Gegenüber braucht IMMER ein Problem, denn sonst fällt deine Leistungs- oder Retterrolle weg und Frau fühlt sich nicht mehr gebraucht. Das kann in einer Co-Abhängigkeit enden: Frau vernachlässigt ihre eigenen Grenzen und seelischen Bedürfnisse, um das vermeintlich bedürftige Gegenüber zu stützen. Therapeutisch spricht man hier von einem „übernommenen Verantwortungsgefühl“ oder einer Form von Bindung durch Schuld.

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  • Emotionale Dissoziation und Erschöpfung. Wenn Liebe an Leistung geknüpft ist oder Gewalt Teil der Vatererfahrung war, lernen viele Mädchen unbewusst, Gefühle abzuschalten, um den Schmerz auszuhalten. Dies kann bis ins Erwachsenenalter zu emotionaler Taubheit oder starker Belastung führen: körperliche Spannungen, insbesondere im Bauch-, Herz- oder Halsbereich bei männlicher Autorität – im Extremfall über traumatisch bedingte dissoziative Symptome (du bist anwesend, aber eigentlich abwesend – zoomst raus aus der Realität). Diverse Studien (etwa zur Chronifizierung kindlichen Traumas) belegen, dass frühe psychische Verletzungen eng mit späteren Panikreaktionen verbunden sind. Betroffene Frauen fühlen sich dann innerlich leer, als hätten sie keinen „sicheren Hafen“ in sich selbst. Das bekannte fehlende Urvertrauen ist ein sehr typisches Beispiel für Vaterwunden bei Frauen.

  • Identitätsverwirrung bezüglich Geschlechterrollen. Patriarchale Erziehung drückt sich auch in rigiden Geschlechtererwartungen aus. Frauen entwickeln u. a. Zweifel daran, was Weiblichkeit und Männlichkeit für sie bedeuten. Aufgewachsen mit „stark sein wie Papa“ oder „stark sein wie Mama“, fühlen sie sich oft hin- und hergerissen zwischen zwei Polen. Manche spüren eine innere Zerrissenheit – eine der Anima (inneren Weiblichkeit) entwurzelte Anteile oder einen zu dominanten inneren Animus (männlichen Anteil). Ohne Klarheit darüber, wer sie selbst wirklich sind, fällt es dann natürlich schwer, authentisch zu leben. Das ist meist der Grund, wieso Frauen 1) Probleme mit Autoritäten oder der eigenen Führungskraft haben (innerer Konflikt mit „männlicher Energie“) und/oder 2) eine tiefe Sehnsucht nach männlicher Anerkennung und Bestätigung hegen, einschließlich starker Selbstkritik oder überangepasstem Verhalten in leistungsgeprägten Kontexten. Auch das Gefühl, als Frau „falsch“ oder „nicht gewollt“ zu sein, findet sich hier oft (insbesondere bei explizitem oder implizitem Vaterwunsch nach einem Sohn – wenn du als Frau hättest ein Junge werden sollen).

  • Unterwürfigkeit oder Überkompensation. Schließlich zeigt sich die Vaterwunde bei Frauen ebenso oft als Überanpassung (ständiges Ja-Sagen, keine Grenzen setzen, eigenen Werten nicht folgen, Selbstkleinmachen) oder – weniger bekannt – als übertriebene Maskulinisierung. Frauen haben dann maskuline Rollenmuster entwickelt („männlicher als der Vater“), um sich in männerdominierten Feldern zu behaupten. Andere leben in erlernter Passivität oder Hilflosigkeit: entweder zu männlich-hart oder zu hilflos-weiblich, doch nie „richtig“. Beide Extreme sind Überlebensstrategien und spiegeln deutlich die Vaterwunden wider: zum einen (Überanpassung) in der Hoffnung auf Nähe, zum anderen (Überkompensation) als Abwehr von Schmerz. In beiden Fällen haben sie kaum Zugang zu ihrer wahren emotionalen Natur. Meist leben sie in einer unbewusste Loyalität gegenüber dem Vater – auch bei Missbrauch oder emotionaler Vernachlässigung – und fühlen ein inneres Verbot, Kritik am Vater zu äußern („er hat doch sein Bestes gegeben“). Zwei wesentliche Punkte sind hierbei zu benennen: Projektionen auf Partner, z. B. Männer als „rettende Väter“ oder sie werden als „bedrohliche Feinde“ erlebt + wiederkehrende Partnerschaftsmuster mit emotional nicht verfügbaren, passiven oder narzisstischen Männern. Auch häufig: heimliche Affären – sei es, dass du in einer festen Partnerschaft bist und fremdgehst oder die heimliche Geliebte eines gebundenen Mannes bist.

Was in einer Frau wirkt, sind vor allem die Bilder, die die Männer in ihrer Ahnenlinie über Generationen verkörpern mussten – und die sie in ihrer Familie gespiegelt bekamen: der geforderte, aber nie präsente Vater, der verletzte Mann, der stark wirken sollte (es aber nicht war), der Krieger, dem niemand das Fühlen beibrachte. Was sich als Vaterwunde zeigt, ist das Echo der männlichen Ahnenlinie: Krieg, Pflicht, Kontrolle, Sprachlosigkeit, Beschämung von Gefühlen.

Du warst/bist nicht nur Tochter eines Mannes., sondern Teil eines Systems, in dem Weiblichkeit sich an Männlichkeit reibt, sich rechtfertigen oder gar unterordnen musste. Ob du ihn geliebt oder gefürchtet hast, idealisiert oder nie erreicht hast – deine Beziehung zum Vater wirkt fort, eingebettet in ein kollektives Gedächtnis männlicher Stärke ohne Halt, Autorität ohne Nähe und Versorgung ohne Zuwendung. Wer also heute als Frau offen oder subtil merkt, dass etwas „nicht passt“ – deine Beziehungen (inkl. der zu dir selbst) erscheint zu hart, zu leer, zu kontrolliert, zu bedürftig, zu einseitig, zu angepasst –, spürt unbewusst mehr als nur eine biografische Verletzung.

Was du fühlst, ist die Linie, aus der du stammst, die nie heilen konnte. Du hast also die Wahl: Willst du der sogenannte Cycle-Breaker werden (die eine Person, die transgenerationale, ungelöste Konflikte ein für alle Mal auflöst und somit auch die folgenden Generationen, wie z. B. deine eigenen Kinder, befreit, oder willst du dich weiter fügen?)

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Männerbilder: Wieso ein Blick auf die männliche Ahnenlinie lohnt

In vielen westlichen Kulturen war und ist die männliche Ahnenlinie zentral für die Familienordnung und Wertevermittlung. Generationen von Frauen wurden großgezogen mit Bildern und Erwartungen, die aus einem patriarchalen Wertekanon stammen – dem Ideal des starken, beschützenden Vaters, der in Wirklichkeit oft fern, überfordert, psychisch ungesund oder sogar gewalttätig war. Sowohl die populäre Nachkriegs- als auch Massenkultur zeigte Väter in idyllischen Rollen: Fernsehserien wie „Unsere kleine Farm“ prägten das Bild eines stets liebevollen „Fantasy“-Vaters. Erst Serien wie „Wer ist hier der Boss?“ zeigten eine neue, mütterliche Seite an Vätern. Gleichzeitig weisen Forschung und Geschichte darauf hin, dass diese patriarchalen Familien oft kein sicherer Hafen für Frauen und Kinder waren. Die Autorin bell hooks (sie wird klein geschrieben) betonte einst, dass die idealisierte, weiße Kleinfamilie „nie ein sicherer Ort für Frauen oder Kinder“ war. Mädchen und Jungen wuchsen damit auf, einen oft unangreifbaren Vateridealtyp zu bewundern, während die Realität (Übergriffe, strenge Disziplin, Abwesenheit) ausgeblendet wurde. So entstand bei vielen Kindern natürlich ein kaum lösbares „Vater-Hunger“-Gefühl:

Sie sehnen sich nach einem verständnisvollen Vater und nehmen lieber einen Leid bis hin zu Missbrauch in Kauf, statt der Wahrheit ins Auge zu sehen.

Kriegs- und Nachkriegsgenerationen prägte dieses Phänomen besonders stark. In beiden Weltkriegen wurden Männer als heldenhafte Vaterfiguren inszeniert, doch Heimkehrer kehrten überwiegend traumatisiert oder hilfsbedürftig zurück. Viele Familienväter trugen ihre Erlebnisse nicht offen vor, was zu geheimen Loyalitäten und unbewältigten Ängsten führte – die Kinder bekamen die Nachwirkung subtil zu spüren. Auch historische Väterbilder in Religion und Militär (Gott als „Vater“, strenge Offiziersväter) festigten autoritäre Rollenmuster. Dieser soziologische und historische Hintergrund legt den Boden für transgenerationale Effekte: Unverarbeitete traumatische Erfahrungen der Kriegsväter wurden also unbewusst auf die Töchter übertragen.

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Transgenerationale Weitergabe und psychologische Dynamiken von Vaterwunden bei Frauen

Die transgenerationale Psychologie (psychische, emotionale und soziale Auswirkungen elterlicher und großelterlicher Prägungen) untersucht, wie unverarbeitete Lasten von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dabei geht es nicht nur um genetische Vererbung im engeren Sinne, sondern um subtile Verhaltensmuster, unbewusste Loyalitätsbündnisse (stille Aufträge, dass du … (X) müsstest). Harald Schickedanz beschreibt etwa, dass traumatisierte Eltern häufig ein verändertes „Brutpflegeverhalten“ zeigen:

Sie sind emotional anders verfügbar, teilweise wie „physisch da, aber seelisch abwesend“. Edward Tronick zeigte schon 1978 im berühmten Still-Face-Experiment, wie tief ein Kind die Nicht-Reaktion des Elternteils trifft: Wird ein sonst liebevoller Gesichtsausdruck plötzlich leer und unbewegt, „bricht das Baby ein“ – es protestiert, weint oder verstummt vor Traurigkeit, weil es realisiert, dass „Mami da ist, sie ist aber irgendwie auch fort ist“. Diese Versuche legten nahe, dass Kinder ein feines Gespür dafür haben, wenn ein Elternteil emotional distanziert ist.

Ist ein Vater seelisch ständig mit seinen eigenen Ängsten beschäftigt, ist ein Junge oder ein Mädchen quasi in einem Loyalitätskonflikt gefangen: Die Tochter lebt in dem Gefühl, die Last des väterlichen Angst tragen zu müssen. In systemischen Therapieansätzen wird dies als „Loyalitätskonflikt“ beschrieben: Missbrauch und emotionale Kälte in der Eltern-Kind-Beziehung machen Kinder unfrei – sie „absorbieren elterliche Verletzungen, Enttäuschungen und Versagen, als wären es ihre eigenen“. Dieser beschriebene Mechanismus nach Boszormenyi-Nagy bedeutet, dass eine Tochter sich oft nicht erlauben kann, eigene Bedürfnisse zu haben, weil sie sich verantwortlich fühlt, die Familie zu schützen oder die Wunden der Eltern mitzutragen. Gleichzeitig kann sie starke Projektionen entwickeln: Eine idealisierte Vaterfigur, die „sich kümmert und heilt“, wird dringend ersehnt, während jeder reale Mann an diesem unerreichbaren Bild gemessen wird.

Neuere Forschungen untermauern, dass sich der Einfluss des Vaters auch biologisch in den Kindern niederschlägt. Studien an Nachkommen von Holocaust-Überlebenden zeigen, dass insbesondere Traumata der Eltern hormonelle und epigenetische Spuren hinterlassen. So fanden Yehuda et al., dass Kinder von Überlebenden signifikant häufiger an Angst- und Affektstörungen (einschließlich PTSD) litten als Kontrollgruppen – parallel dazu weisen sie wie ihre Eltern auffällig niedrige Kortisolspiegel auf (ein Stresshormon). Noch konkreter belegt ein Epigenetik-Projekt, dass väterliche und mütterliche Traumata unterschiedliche Auswirkungen haben:

Die Söhne und Töchter traumatisierter Väter zeigen ein erhöhtes Depressionsrisiko, während mütterliche posttraumatische Störungen bei den Kindern andere Stresshormonsysteme erzeugt​. Wenn ein Vater bestimmte Erfahrungen gemacht hat (z. B. im Krieg, durch Gewalt oder Flucht), kann das in seinem Körper Spuren hinterlassen – auf Zellebene. Das Gen, das für die Regulation von Stress zuständig ist (Glukokortikoid-Rezeptor-Gen), funktioniert dann anders oder weniger gut. Bei den Kindern dieser Väter zeigt sich dann:

  • ihr Körper reagiert empfindlicher auf Stress,
  • sie haben ein höheres Risiko, depressiv zu werden.

Wenn dagegen die Mutter ein Trauma erlebt hat, verändert sich bei ihren Kindern ebenfalls das Stresssystem – aber auf eine andere Weise. Die Art der Prägung hängt also davon ab, wer das Trauma erlebt hat (Mutter oder Vater) und wie es im Körper wirkt. Diese Befunde legen nahe, dass die „Schuldlinien“ der Väter – etwa Kriegserfahrungen oder vererbte Traumata – buchstäblich im Zellgedächtnis der Kinder weiterwirken.

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Vater-Tochter-Dynamiken

Dennoch steht immer deine individuelle Vater-Tochter-Beziehung im Zentrum deiner Prägungen. Im gesunden Fall stärkt ein fürsorglicher Vater das Selbstbewusstsein einer Tochter. Im ungünstigen Fall manifestiert sich ein Vaterkomplex oder eine „sekundäre Wunde“. In der Psychologie gilt der Vater-Archetyp (nach C.G. Jung) als Symbol männlicher Autorität: Stärke, Schutz und Weisheit zählen zu seinen Merkmalen. Trifft die psychische Realität – Abwesenheit, Härte, mangelnde Fürsorge – auf dieses innere Bild, entsteht ein innerer Konflikt. Manche Töchter entwickeln daraufhin einen überzogenen Anpassungsmodus oder Perfektionismus, um scheinbar gute Väterliebe zu „verdienen“. Andere schwanken zwischen gegensätzlichen Mustern: Sie erleben enge Bedürftigkeit und rebellisches Aufbegehren (das sogenannte „Daddy’s Girl“-Syndrom) zugleich: klassischer Konflikt, ausgelöst durch die Vaterwunden.

Viele Frauen berichten aber auch von den eingangs genannten Loyalitätsbündnissen: Etwa wenn eine entfremdete Mutter stillschweigend zum eigenen Leid beiträgt, wählen Töchter oft unbewusst kämpfend eine Seite. Hinzu kommt, dass in dysfunktionalen Familien bisweilen die Tochter als Ersatz-Vertraute des Vaters oder der Mutter fungieren musste. Der Begriff Parentifizierung beschreibt genau dieses Phänomen, wonach Kinder (häufig die ältesten Töchter) zu familiären „Mittler“-Figuren werden.

Die Psychologin Jessica Minahan etwa stellte fest: In emotionalen Krisen sind gerade Mädchen dazu „gezwungen, anderen zu helfen oder sie zu reparieren“ – eine Fürsorglichkeit, die aus der Kindheit stammt, in der sie Sicherheit durch Verantwortung übernahmen. Forschungsergebnisse zeigen, dass dies mit einem gesteigerten Bedürfnis nach Anerkennung einhergeht: Die Selbstwertüberzeugung vieler parentifizierter Töchter hängt in auffälligem Maße davon ab, wie gut sie den Erwartungen anderer entsprechen und deren Fürsorge sichern​. Die eigenen Bedürfnisse werden dabei verleugnet, und Grenzverletzungen anderer werden übergangen. (Das ist meist das eine Symptom, das bezüglich Vaterwunden am häufigsten genannt wird.)

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Aus all dem können sich spätere Beziehungsmuster entwickeln: Wenn eine Frau gelernt hat, dass Liebe an Leistung oder Fürsorge gekoppelt ist, sucht sie unbewusst ähnliche Dynamiken bei Partnern. Sie könnte Schwierigkeiten haben, Männern zu vertrauen oder sich berechtigt zu fühlen, ihre Bedürfnisse zu äußern. In toxischen Fällen kommt es zu fehlender Abgrenzung: Die Frau verliert sich ganz im Rollenklischee – sei es in übertriebener Unterwürfigkeit, bei der sie sich selbst quasi „vergisst“, oder in umgekehrter Überanpassung an ein aggressives Männlichkeitsideal. Klassischer Spiegel ihrer Vaterwunden.

vaterwunde verstehen

Etwas andere Perspektiven auf Vaterwunden

Die geschilderten Muster sind nicht nur individuell zu verstehen, sondern auch vor dem Hintergrund feministischer und psychologischer Theorien. Feministische Denkerinnen wie bell hooks zeigten, dass das Vaterbild sozial konstruiert bleibt: hooks kritisierte etwa, dass das traditionelle Familienideal („Vater weiß es besser“) auf der sexuellen Unterordnung von Frauen basiert – dass bedingungslose Liebe und Fürsorge aber mehr zählen würden als bloße Autorität.

Die Entwicklungspsychologin Carol Gilligan ergänzte diesen Blick: Sie fand heraus, dass Frauen moralische Entscheidungen oft über ein Netz von Beziehungen und Fürsorge definieren. In Bezug auf die Vaterlinie bedeutet das: Frauen messen der Qualität ihrer Bindungen (auch in mentalen „inneren Bindungen“) Wert bei. Dies verleiht Heilungsprozessen eine gemeinschaftliche, fürsorgliche Dimension.

Traumaforscher wie Judith Herman wiesen darauf hin, dass Heilung nur in sicherem Umfeld geschehen kann. In „Trauma and Recovery“ beschreibt sie, dass neben der Konfrontation mit dem Erlebten auch die Rekonstruktion eines gesunden Bindungsgefühls essentiell ist. Auf die Vater-Dynastie bezogen heißt das: Frauen müssen sichere „Vater-/Mutter-Relationen“ (im eigenen Inneren und in realen Kontakten) aufbauen, um alte Verletzungen zu heilen.

Wege zur Heilung und Befreiung von Vaterwunden bei Frauen

Der Weg, männliche Ahnenmuster zu erkennen und aufzulösen, beginnt immer mit der Bewusstwerdung. Das kann durch Gespräche mit Freundinnen, Therapeut:innen oder in Selbstreflexion geschehen. Journaling über Vatererlebnisse, Lesen von Literatur (z. B. All About Love von bell hooks) oder Innere-Kind-Arbeit helfen, prägenden Mustern auf die Spur zu kommen. Wichtig ist, sich zu fragen:

  • Welche Gefühle löst der Gedanke an meinen Vater aus?
  • In welchem Teil meines Körpers spüre ich ihn?

Achtsames Wahrnehmen signalisiert schon den ersten Bruch mit unbewussten Automatismen.

Auch die jungianische Psychologie bietet hilfreiche Konzepte: Der Vater-Archetyp (C. G. Jung) symbolisiert die instinktiven männlichen Bilder in der Psyche. Wenn eine Frau unbewusst immer wieder einen kühlen, dominanten männlichen Teil in sich trägt, kann sich dies als Angst vor Männlichkeit ausdrücken. Die Arbeit mit Archetypen (Vater, Anima, Kriegerin etc.) ermöglicht es, diese Projektionen bewusst zu machen. Eine Frau kann so in der Imagination bewusst dem inneren „Vater“ begegnen und die damals abwesende Liebe nachholen. Therapeutische Methoden wie „die aktive Imagination“ oder inneres Rollenspiel werden dafür meistens genutzt. In der Tiefe kann es hilfreich sein, die eigenen archetypischen Muster zu erforschen, um sich deine Vaterwunden anzusehen. Trägst du innere Anima- oder Animus-Projektionen? Wie wirkt die „Wilde Frau“ im Alltag – wild in dem Sinne, sich selbst treu, oder wild im Sinne von „ungerichtet zerstörerisch“? Wer seinen Animus (den inneren Mann) heilt, gewinnt Anteile von  Durchsetzungskraft und beschützender Stärke, ohne Feindlichkeit zu übernehmen.

Aus systemischer Sicht bieten Kontextuelle Therapie und Familienstellen nützliche Einsichten. Wie oben zitiert, fungieren Loyalitätsbündnisse oft als Bindungen, in denen Kinder versuchen, familiäre Verletzungen auszugleichen. Familienstellungsarbeit (nach Hellinger) kann helfen, diese unbewussten Pflichten sichtbar zu machen – etwa indem man spirituell „aufstellt“, wer welche Rolle im Familiensystem besetzt hat, und so neue Nähe schafft.

Schließlich ergänzen somatische Therapien (z. B. Trauma-Sensomotorik, SE) die ganzheitliche Sicht: Da psychische Traumata sich im Körper festsetzen, kann gezielte Körperarbeit helfen, im Hier und Jetzt Sicherheit zu erleben und alte Schocks zu verdauen.

Abgrenzung und Selbstfürsorge sind zweite Schlüssel. Wer als Kind gelernt hat, sich selbst kleinzumachen, muss neu üben, „Nein“ zu sagen und Bedürfnisse zu respektieren. Dabei kann einem bewusstwerden, dass Liebe nicht verdient werden muss. Grenzen-Übungen (z. B. Körperspiele, klare Ansagen im Alltag) fördern Stabilität. Das legt das Fundament für neue, gesunde Beziehungen, in denen Geben und Nehmen ausgeglichen sind.

Körperarbeit (Yoga, Atemarbeit, Tanz, Therapeutischer Ausdruck) löst hervorragend körperliche Spannungen, die mit Trauma verknüpft sind. In achtsamen Bewegungen oder Massagen kann man erfahren: Es ist möglich, den Körper sanft zu führen, selbst wenn der innere Kritiker dich lärmt. Manche Frauen finden in spirituellen Praktiken (Meditation, Qigong) eine Art inneren Raum, in dem alte Angst „sicher“ aufsteigt und sich in physischem Wohlbefinden wieder auflöst. Der US-Traumatherapeut Peter Levine nennt es Somatic Experiencing: über den Körper in kleinen Schritten Traumaenergie zu verarbeiten.

Beziehungsarbeit ist ebenfalls zentral: Frauen lernen hier z. B., sich mit Partnern, Freundinnen oder Therapeut:innen verletzlich zu zeigen. Eine gute Psychotherapie macht das oft durch behutsames Wiedererleben verdrängter Gefühle möglich – ähnlich wie Kinder, die so lange auf eine stille Mutter reagierten, bis diese wieder „lebendig“ wurde. Hierbei kann es helfen, sich selbst wie ein kleines Kind zu behandeln: mit Wärme und Geduld.

Symbolarbeit und Rituale ermöglichen es ebenso gut, innere Bilder zu wandeln. So kann ein Ritual zum Abschied vom alten Vaterbild dienen (z. B. Briefe schreiben, ein Foto verbrennen, im Geiste „Vergebung“ üben). Oder man arbeitet bewusst mit dem inneren Vater: Diese innere Figur kann man sich vorstellen und ihr geben, was man als Kind vermisst hat – Anerkennung, Schutz, Zuhören. Ebenso kann eine Frau ihr inneres „Mädchen“ stärken, etwa durch Imagination oder kreatives Gestalten. Clarissa Pinkola Estés würde sagen: Man weckt das „wilde Mädchen“ in sich, das nicht auf Bestätigung durch den Vater wartet, sondern eigenständig ist und schöpferisch lieben kann.

Fazit

Es mag ein weiter Weg sein, die patriarchalen Prägungen abzulegen, doch jede Frau kann sich Stück für Stück von alten Mustern lösen. Indem sie sich ihrer eigenen Werte, Gefühle und Grenzen bewusst wird, findet sie auch zurück zu ihrer inneren Wahrheit. Liebevolle Selbstaufmerksamkeit hilft zu erkennen: Die Schatten der Vergangenheit gehören nicht zwangsläufig der Gegenwart an. Getreu dem Motto: Nicht, was uns widerfährt, bestimmt uns, sondern was wir aus dem machen, was uns widerfahren ist.

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Auf diesem Heilungsweg geht es letztlich um Befreiung und Integrität: um die Erlaubnis, ganz man selbst zu sein. Auch wenn die eigenen Väter vielleicht im Inneren weiterleben – in uns selbst können wir fürsorgliche, weise und starke Vater- und Mutter-Aspekte kultivieren. So wächst ein neues Verständnis: Die Zukunft lag nie nur in den Händen vergangener Generationen, sondern in unserer Fähigkeit, mit Mitgefühl und Stärke unsere eigene Geschichte zu schreiben.

Quellen:

Influences of Maternal and Paternal PTSD on Epigenetic Regulation of the Glucocorticoid Receptor Gene in Holocaust Survivor Offspring. Zugriff am 25.05.2025. URL: https://sites.tufts.edu/epigeneticsbiochemistry/gene-reprogramming/#:~:text=PTSD%20are%20associated%20with%20different,3

Schrader, Jessica: 10 Frequent Traits of Parentified Daughters. Psychology Today. Zugriff am 25.05.2025. URL: https://www.psychologytoday.com/us/blog/invisible-bruises/202311/10-common-traits-of-parentified-daughters#:~:text=8,and%20please%20those%20around%20them  

Janett Menzel

Mentorin | Life & Love Design

Schattenarbeiterin, Expertin für Bindungsangst und Kommunikation in Partnerschaften, Emanzipationswunden, transgenerationale Muster, Wer bin ich? Wer will ich sein?, Mutter- und Vaterwunden, Hochbegabung – Hochempathie – Kreativität & Angst. Anfragen und Beratungen >>

 

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