Die Mutterwunde bei Männern führt oft zu einem tief verborgenen Gefühl der Verlassenheit und Wut, das unter einer Oberfläche von scheinbarer Stärke oder Gleichgültigkeit schwelt. Das innere Kind im Mann hat nie gelernt, gesund zu heilen, weil es nie wirklich gesehen wurde. Doch auch Männer können diesen kleinen Jungen in sich befreien und integrieren. Dazu ist es erforderlich, einen Zugang zu den eigenen Gefühlen (wieder) zu finden und das zuzulassen, was man als Kind nie ausdrücken konnte. In diesem Artikel beleuchte ich, wie Männer die Anzeichen für eine Mutterwunde erkennen und heilsame Wege gehen können – sowohl auf emotionaler Ebene (innere Arbeit) als auch mit konkreten Maßnahmen im Alltag.
Mutterwunden bei Männern: Was das bedeutet – früher als Kind und heute als Mann
Obwohl der Begriff „Mutterwunde“ häufig im Zusammenhang mit Töchtern verwendet wird, können in meinen Augen Männer/Söhne tiefgreifend unter einer gestörten Mutterbeziehung leiden. Zumindest zeigt das meine Beratungspraxis aka meine Kunden. Tatsächlich spielt die Mutter – oder eine primäre weibliche Bezugsperson – für die psychische Entwicklung eines Jungen eine immens wichtige Rolle. Sie ist oft die erste Quelle von Geborgenheit und emotioneller Orientierung. Wenn die Beziehung zur Mutter unsicher, kalt oder schmerzhaft ist, zieht der Sohn daraus weitreichende Lehren über sich selbst, Frauen und über Beziehungen generell. Dennoch wird die Mutterwunde bei Männern gesellschaftlich weniger thematisiert. Viele Männer zögern als Folge, ihre Verletzungen/Verletzbarkeit anzuerkennen, da von ihnen erwartet wurde und bis heute wird, stark und unberührbar zu sein. Doch ein Blick hinter die Fassade zeigt: Auch erwachsene Männer tragen das kleine verletzte Kind in sich, das einst um die Liebe der Mutter rang.
Unter einer Mutterwunde beim Mann versteht man analog ein Defizit an mütterlicher Wärme, Nähe und bedingungsloser Annahme in seiner Kindheit. Vielleicht war seine Mutter physisch anwesend, aber emotional abwesend – etwa durch Krankheiten, Stress oder der Unfähigkeit, sich in ihn einzufühlen. Möglicherweise war sie auch überfürsorglich und kontrollierend, sodass er nie gesunde Autonomie entwickeln konnte. Oder aber sie war kritisch, toxisch/herabsetzend bis narzisstisch oder launisch, was bei ihm früh Verwirrung und das Gefühl erzeugte, nichts richtig machen zu können. Jeder dieser Fälle kann beim Sohn eine tiefe Verunsicherung des Selbst hinterlassen. Ein kleiner Junge definiert sich zunächst stark über den Blick seiner Mutter: In ihren Augen spiegelt sich sein Wert. Wenn diese Spiegelung aber verzerrt oder negativ ist, z. B. die Mutter ständig unzufrieden oder emotional nicht erreichbar ist, verinnerlicht der Junge das als Norm. Er fragt sich (unbewusst): „Warum werde ich nicht geliebt, so wie ich bin? Bin ich nicht genug oder nicht ‘richtig’ als Junge?“
Während Mädchen sich eher in der Mutter wiedererkennen wollen, suchen Jungen in der Mutter Bestätigung für ihre Identität und spätere Männlichkeit. Fällt diese Bestätigung aus oder ist ambivalent, prägt das die männliche Psyche nachhaltig. Als Beispiel: Wächst ein Junge ohne mütterliche Wärme auf, entwickelt er zwar eine harte Schale, aber darunter bleibt eine große Sehnsucht nach weiblicher Nähe bestehen. Gleichzeitig kann er unbewusst den Schluss ziehen, dass Nähe unsicher ist – die Person, die ihn eigentlich bedingungslos lieben sollte, hat ihn ja enttäuscht. Diese Ambivalenz (Sehnsucht vs. Misstrauen) begleitet viele Männer in ihre erwachsenen Beziehungen.
Ein anderer Aspekt ist das Männerbild: Manche Mütter vermitteln (oft unfreiwillig) Botschaften über Männlichkeit an ihren Sohn, zum Beispiel, indem sie Männer generell als „schlecht“ darstellen (etwa nach einer Trennung vom Vater) oder indem sie dem Jungen das Gefühl geben, Männer dürften keine Schwäche zeigen. Auch die eigene Beziehung zum Vater des Sohnes/Partner bzw. Ehemann in bestehenden Beziehungen kann unterschwellig oder bewusst Botschaften zum Jungen senden: oft über Geld, Loyalitäten, wann man ein „Mann“ ist, wie man ein „guter Partner“ ist usw. Solche frühen Botschaften können beim Sohn zu einem verzerrten Verständnis der eigenen Männlichkeit führen. Er fühlt sich schuldig für normale Bedürfnisse nach Zuneigung (denn „ein echter Mann braucht das nicht“) oder schämt sich für seine Sensibilität bzw. versucht im Laufe seines Lebens, nicht genauso zu versagen wie sein Vater. Die Mutter ist hier also die erste Lehrmeisterin der Gefühle: Ist sie nicht feinfühlig, sehr fordernd oder überstark mit ihm verstrickt, lernt der Sohn, seine WIRKLICHEN Emotionen abzuspalten, um ihren Erwartungen zu genügen.
Zu einer spezifisch männlichen Mutterwunde zählt auch das Phänomen des emotionalen Inzests oder der Überbindung. Ist die Mutter alleinerziehend und macht den Sohn zu ihrem Lebensmittelpunkt, kann er in eine „Ersatzpartnerrolle“ gedrängt werden – mit Erwartungen, die ihn überfordern. Dem Jungen wird dann zu viel Verantwortung aufgebürdet, er soll z. B. „der Mann im Haus“ sein oder die Mutter glücklich machen. Das kann ihn in einen Loyalitätskonflikt stürzen und seine eigene Identitätsentwicklung hemmen. Einerseits will er der Mutter gefallen, andererseits spürt er (oft erst viel später), dass ihm eine eigene Kindheit und jugendliche Freiheit gefehlt haben. Solche übermäßigen Bindungen führen im Erwachsenenalter oft zu großen Schwierigkeiten, sich gesund abzugrenzen – sei es von der Mutter selbst oder generell von fordernden Menschen.
Anzeichen, dass du als Mann eine Mutterwunde hast: Prägungen und typische Folgen
Im Kern erzeugt die Mutterwunde beim Mann also Unsicherheit in der eigenen Identität, fragemtierte, verkümmerte emotionale Ausdrucksfähigkeit und verzerrte Beziehungsmuster. Im Folgenden werde ich also die typischen Auswirkungen auf das Erwachsenenleben von Männern näher beleuchten. Denn Jungen verarbeiten Verletzungen anders als Mädchen, teilweise aufgrund biologischer Faktoren, wesentlich aber auch wegen gesellschaftlicher Rollenvorgaben. Viele Männer mit Mutterwunden haben gelernt, ihre seelischen Schmerzen nicht zu zeigen. Verborgen wirken sie umso stärker, denn sie verschwinden nicht, nur weil man sie nicht fühlt und zeigt.
Hier sind einige zentrale Folgen und Verhaltensmuster, die bei Männern mit unverarbeiteter Mutterwunde häufig zu beobachten sind:
Geringes Selbstwertgefühl und Identitätszweifel
Ähnlich wie betroffene Frauen kämpfen auch Männer innerlich mit dem Gefühl, nicht genug zu sein. Insbesondere die Ablehnung oder emotionale Vernachlässigung durch die Mutter kratzt am Urvertrauen eines Jungen: Er schließt daraus (wenn auch unbewusst), dass er keinen vollen Wert hat. Viele Männer beschreiben eine schwer fassbare Unsicherheit in ihrem Selbstbild. Sie fühlen sich latent minderwertig und suchen Bestätigung oft im Außen – sei es durch Leistung, Statussymbole oder Anerkennung von Autoritätspersonen. Dieser innere Mangel kann sich als ständiges Bedürfnis nach Erfolg zeigen:
Man arbeitet unermüdlich, um sich Wert zu beweisen. Tatsächlich neigen Männer mit Mutterwunde überdurchschnittlich zu Überkompensation im Berufsleben. Sie hoffen, durch Karriere, Wettbewerb oder finanziellen Erfolg die innere Leere zu füllen und sich den Respekt (vielleicht sogar den der Mutter) zu verdienen. Nicht selten geht das mit Workaholism einher – langen Arbeitszeiten, kaum Pausen, keine Schwäche zeigen. Außenstehende sehen einen ambitionierten Mann; innen treibt ihn jedoch häufig die Angst an: „Wenn ich genug leiste, bin ich vielleicht doch liebenswert.“ Eine tiefe Erschöpfung oder Sinnkrise ist oft die Folge, weil Erfolg das innere Kind niemals vollständig sättigen kann. Zugleich kann ein geringes Selbstwertgefühl auch Passivität bewirken: Einige Männer resignieren vor Herausforderungen, aus der Überzeugung heraus, es ohnehin nicht zu schaffen.
Identitätsfindung ist ein weiteres Thema: Die Mutterwunde kann Männer in eine Art diffuses Selbstgefühl stürzen – sie wissen nicht recht, wer sie als Mann sein wollen. Haben sie z. B. erlebt, dass die Mutter Männer abgewertet hat (etwa „Männer taugen nichts“ aufgrund schlechter Erfahrungen), kann das zu unterbewusster Selbstverurteilung führen: Der Sohn möchte kein „schlechter Mann“ sein, fühlt sich aber allein durch sein sein Mannsein schlecht. Diese Identitätsverwirrung führt zu Problemen, eine positive Männlichkeit zu entwickeln. Manche pendeln aber auch zwischen den Extremen: dem Machohaften (um ja nicht schwach zu wirken) und dem Überangepassten (aus Angst, aggressiv zu sein). Beide Extreme wurzeln im Zweifel daran, als der, der man ist, okay zu sein.
Bindungs- und Beziehungsprobleme
Die Mutter ist in der Kindheit die primäre Bezugsperson für Nähe und Sicherheit. Entsprechend hat ihr Verhalten maßgeblichen Einfluss auf das spätere Beziehungsverhalten eines Mannes. Es ist also wenig verwunderlich, dass viele Männer mit einer Mutterwunde einen unsicheren Bindungsstil entwickeln – entweder ängstlich-anhänglich oder vermeidend-distanziert:
- Ängstliche Bindungsmuster und Bedürftigkeit: War die mütterliche Zuwendung wechselhaft oder fühlte der Junge sich nie sicher geliebt, nimmt er ein tiefes Verlangen nach weiblicher Bestätigung ins Erwachsenenleben mit. Sie sehnen sich stark nach einer Partnerin, die ihnen die Liebe gibt, die sie vermisst haben, und neigen dazu, in Beziehungen sehr abhängig zu werden, ständig Nähe und Zuspruch zu suchen und große Angst vor Verlassenwerden zu haben. In der Partnerschaft äußert sich das z. B. in Eifersucht, Klammern oder Überempfindlichkeit bei kleinsten Anzeichen von Rückzug. Ihr inneres Kind fürchtet permanent, wieder „nicht genug“ zu sein, weshalb sie jede Stimmungsänderung der Partnerin höchstempfindsam registrieren. Dieser Stil ist der eines kleinen Jungen, der um Mutters Aufmerksamkeit buhlt – nun übertragen auf die Partnerin. Die Ironie: Gerade diese Verlustangst und Anhänglichkeit kann Partnerinnen überfordern, was tatsächlich zu Konflikten oder Trennungen führen kann, wodurch die Urangst nur erneut bestätigt wird.
- Vermeidende Bindung und emotionale Mauern: Andere Männer schlagen den entgegengesetzten Weg ein. Wurde ihre emotionale Bedürftigkeit von der Mutter nicht erfüllt oder gar beschämt („Ein Junge weint nicht!“), lernen sie, Gefühle zu unterdrücken. Als Erwachsene wirken sie unabhängig, unnahbar und kontrolliert. In Beziehungen halten sie innerlich Distanz – Nähe lässt sie unruhig oder sich unwohl fühlen, auch wenn sie sich rational eine Partnerschaft wünschen. Sobald es intim wird oder Forderungen nach emotionaler Öffnung kommen, ziehen sie sich zurück, schweigen oder flüchten sich in Arbeit/Hobbys. Sie haben oft Schwierigkeiten, Vertrauen zu fassen: Die grundlegende Erfahrung war ja, dass die engste Bezugsperson unberechenbar oder verletzend war. Typisch ist auch, dass sie Partnerinnen emotional nicht an sich heranlassen, das heißt, sie teilen ihre wahren Gefühle und Verletzlichkeiten nicht mit. Das schützt sie vor dem Risiko, verletzt zu werden, hält aber echte Intimität auf Distanz. Frauen empfinden sie daher als kalt oder desinteressiert, obwohl in ihnen durchaus Sehnsucht besteht. Dieser bindungsunsichere Typ hat gelernt: „Gefühle zeigen bringt nichts (Gutes). Ich muss allein klarkommen.“ Unbewusst vermeiden sie dadurch, je wieder so hilflos zu sein wie als Kind mit einer untröstenden Mutter.
- Wechsel zwischen Extremen: Manche Männer schwanken auch zwischen Bedürftigkeit und Rückzug – man spricht dann von ängstlich-vermeidenden Bindungsstil. Sie haben z. B. Phasen intensiver Anhänglichkeit und dann plötzliches Umschalten zu Distanziertheit. Diese Dynamik kommt durch eine unvorhersehbare Mutter: mal liebevoll, mal ablehnend. Der erwachsene Sohn versucht dann, Nähe zu erzwingen, fühlt sich aber schnell unwohl, wenn er sie hat, weil sein inneres Alarmsystem anspringt. Dieses Hin-und-Her ist sowohl für ihn selbst wie für seine Partnerin verwirrend und verletzend.
„Entfremdete“ Männlichkeit und innere Konflikte
Männer mit einer unverarbeiteten Mutterwunde kämpfen mit ihrem Verhältnis zur eigenen Männlichkeit. Einerseits kann ein unterbewusster Groll auf die Mutter entstehen, der sich auf Frauen allgemein überträgt. Diese Männer entwickeln z. B. misogyne Einstellungen oder ein Bedürfnis, sich Frauen überlegen zu fühlen, was eine Reaktion auf tiefe Kränkbarkeit ist. Andererseits gibt es Männer, die in Gegenwart starker Frauen sofort verunsichert sind und in eine passive Rolle fallen, fast wie ein kleiner Junge vor der strengen Mutter. Beide Extreme zeigen, dass die Wunde die natürliche Entwicklung eines positiven männlichen Selbstverständnisses behindert hat.
„Verzerrte“ bzw. unsichere Männlichkeit kann so aussehen, dass ein Mann entweder ein hypermaskulines Gehabe an den Tag legt – kein Gefühl an sich heranlässt, ständig Stärke demonstriert, vielleicht auch Frauen herabwürdigt – oder ins andere Extrem verfällt und jegliche typische männliche Energie unterdrückt, aus Angst, toxisch zu sein. Beispielsweise könnten sie Konflikten extrem aus dem Weg gehen und sehr gefällig auftreten, weil sie nie wie der aggressiv wahrgenommene (abwesende) Vater sein wollen, oder sie betonen übermäßig „harte“ Eigenschaften, weil sie von der Mutter als zu sensibel beschämt wurden.
Beide Pole sind Reaktionen auf die impliziten Botschaften, die sie von der Mutter über ihr Mannsein erhalten haben. Gesund wäre ein Mittelweg: durchsetzungsfähig und einfühlsam. Doch die Mutterwunde verwehrt oft den Zugang zu dieser Balance. Viele fühlen sich trotz Erwachsensein oft innerlich unreif oder auf der Suche nach ihrer Identität als Mann. Manche bleiben sehr lange im Leben der Mutter verhaftet und lösen sich nicht – das Phänomen des „Muttersöhnchens“, das Schwierigkeiten hat, eigenständig zu werden oder eine Partnerin an sich heranlassen kann. Andere kehren das um und brechen radikal mit der Mutter, aber der Preis ist tiefe Wut oder Schuld, die in ihnen weiterarbeitet.
Emotionaler Panzer vs. Wut-Ausbrüche
Eine auffällige Folge der Mutterwunde bei Männern ist der Umgang mit Emotionen, insbesondere mit Wut und Trauer. Viele betroffene Männer haben einen emotionalen Panzer entwickelt – sie wirken kontrolliert, gelassen oder gleichgültig, während innerlich einiges brodelt. Sie wurden als Jungen eventuell nie richtig getröstet, wenn sie traurig waren; manche wurden sogar für Tränen bestraft oder lächerlich gemacht. Deshalb haben sie Trauer und Verletzlichkeit eingekapselt. Diese unterdrückten Gefühle suchen sich jedoch andere Wege, häufig in Form von plötzlichen Wutausbrüchen. Der Traumatherapeut & Psychologe Gabor Maté merkte einst an, dass bei Männern oft aufgestaute Trauer hinter der Wut steckt. Weil Traurigsein „schwach“ erschien, springt die Psyche lieber zur Wut, einem aktiveren Gefühl. Grundlage: Männer mit Mutterwunde berichten immer wieder z. B., dass sie bei kleinen Anlässen unverhältnismäßig aggressiv reagieren, sei es im Straßenverkehr, im Sport oder wenn etwas nicht nach Plan läuft. Das können Momente sein, in denen sie sich unbewusst abgelehnt oder nicht gesehen fühlen (so wie einst von der Mutter). Die darauf folgende Explosion ist eigentlich der alte Frust des kleinen Jungen, der endlich Gehör finden will. Leider zerstört unkontrollierte Wut häufig Beziehungen und verstärkt wiederum Scham („Ich habe mich nicht im Griff. Was stimmt nicht mit mir?“).
Alternativ kann der Zorn sich auch gegen die eigene Person richten: Einige Männer entwickeln autoaggressive Tendenzen – riskantes Verhalten, exzessiver Alkohol-/Drogenkonsum, selbstschädigende Überarbeitung oder sogar echtes körperliches Selbstverletzen. Das ist eine andere Ausdrucksform desselben Schmerzes: Eine Mischung aus Selbstbestrafung und Hilfeschrei. Studien haben einen klaren Zusammenhang gezeigt zwischen emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit und Aggression in der Jugend, sei es nach außen oder innen gerichtet. Wer als Kind „nicht gesehen“ wurde, neigt als Erwachsener dazu, entweder die ganze Welt oder sich selbst abzulehnen. Beides sind Konsequenzen, die mit Hilfe veränderbar sind.
Misstrauen und Probleme mit Bindung zu eigenen Kindern
Durch die Enttäuschung seitens der Mutter fällt es manchen Männern schwer, generell zu vertrauen, auch anderen Männern gegenüber, aber vor allem im Kontext Familie. Autoritäten (wie Chefs) oder enge Freundschaften können ebenfalls von latentem Misstrauen begleitet sein. Man rechnet insgeheim damit, dass jeder einen irgendwann fallenlässt. Dieses Grundmisstrauen erschwert spontane, entspannte Beziehungen. Aber nicht nur:
Interessanterweise kann sich eine Mutterwunde auch auf die eigene Vaterschaft auswirken: Einige Männer haben – bewusst oder unbewusst – Angst davor, eigene Kinder zu bekommen und womöglich zu versagen. Wenn sie Väter werden, setzen sie sich massiv unter Druck, „alles besser zu machen“, oder sie fühlen sich emotional unbeholfen im Umgang mit einem Baby, weil sie keine Vorlage einer feinfühligen Eltern-Kind-Interaktion haben. Teilweise kann der Anblick eines bedürftigen Kindes sogar die eigene alte Ohnmacht triggern, was zu Rückzug oder Gereiztheit führt. Hier zeigt sich, wie tief frühe Bindungserfahrungen unser Verhalten über die Generationen hinaus beeinflussen können. Männer, die sich ihrer Mutterwunde bewusst werden, unterbrechen jedoch diesen Kreislauf, indem sie aktiv an sich arbeiten und notfalls Hilfe suchen, um für ihre Kinder präsenter und liebevoller da sein zu können, als ihre Mutter es für sie war.
Körperliche und psychosomatische Auswirkungen
Ähnlich wie bei Frauen geht eine männliche Mutterwunde oft mit chronischem Stress einher, der gesundheitliche Folgen haben kann. Viele Männer somatisieren ihre unverarbeiteten Emotionen, weil sie keinen bewussten Umgang damit haben. Typische Beschwerden können sein:
- Bluthochdruck (durch unterdrückte Wut)
- Spannungskopfschmerzen
- Rückenschmerzen (durch Dauerverspannung und „alles Zusammenhalten“)
- Schlafstörungen
- Gereiztheit (durch unbewältigte innere Anspannung)
- Suchtprobleme, die wiederum die körperliche Gesundheit belasten.
Gabor Maté fand in seiner Arbeit Hinweise, dass gerade Autoimmunerkrankungen und Herzerkrankungen bei Männern mit lange verdrängten emotionalen Konflikten häufiger auftreten. Das ist plausibel, da dauerhafter emotionaler Stress Entzündungsprozesse fördert und z. B. das Risiko für Herzinfarkt oder Magen-Darm-Erkrankungen steigert. Allerdings suchen Männer seltener frühzeitig psychologische Hilfe, sodass sich seelischer Schmerz bei ihnen häufiger erst im Körper „Gehör verschafft“. Wichtig ist auch hier: Diese Symptome sind Warnzeichen. Der Körper zeigt dir, dass deine Psyche Unterstützung braucht. Einige Männer landen z. B. erst wegen Panikattacken oder Burnout in Behandlung und entdecken dann im Prozess die Wurzel in ihrer Kindheit.
Das innere Kind des erwachsenen Sohnes: Innere-Kind-Arbeit für Männer
Auch im erwachsenen Mann lebt der Junge weiter, der er einst war. Dieses innere Kind trägt all die unbearbeiteten Gefühle und Bedürfnisse aus der Kindheit in sich. Bei Männern mit Mutterwunden ist dieses innere Kind oft besonders isoliert, da es möglicherweise seit frühester Jugend „weggesperrt“ wurde. Viele Männer berichten, dass sie gar keinen richtigen Zugang zu ihrer Kindheitsemotionalität haben. Manche Erinnerungen fehlen oder scheinen wie vernebelt. Das kann ein Zeichen dafür sein, dass dein inneres Kind sehr früh lernen musste, sich zurückzuziehen, weil kein Raum für seine Gefühle war. Doch ob bewusst spürbar oder nicht: In Stress- oder Beziehungssituationen meldet es sich eindrücklich.
Das innere Kind eines Mannes kann z. B. als plötzlich auftretende Hilflosigkeit in Erscheinung treten. Ein starker Mann fühlt sich auf einmal völlig unsicher und klein, wenn seine Partnerin Kritik äußert, vielleicht weil das innere Kind darin den tadelnden Ton der Mutter hört. Oder ein sonst vernünftiger Mann reagiert extrem wütend und trotzig, wenn er sich missverstanden fühlt. Das ist möglicherweise der kleine Junge, der endlich sagen will: „Hör mir doch zu!“ Ebenso kann ein sehr bedürftiger Anteil vorhanden sein: Wenn der Mann krank oder erschöpft ist, wünscht er sich insgeheim, jemand würde ihn so liebevoll versorgen, wie es die Mutter tun sollte. Dieses Bedürfnis gesteht er sich aber oft nicht zu, aus Angst schwach zu wirken. Die Folge: Das innere Kind wird noch tiefer vergraben, meldet sich aber indirekt, etwa durch depressive Verstimmungen oder Sehnsüchte, die man selbst nicht einordnen kann.
Männer haben gesellschaftlich leider weniger öffentliche Erlaubnis, sich mit ihrem inneren Kind zu verbinden. Während Frauen eher über ihre innere Verletzlichkeit sprechen, wird Jungen beigebracht, „erwachsen“ aufzutreten. Dadurch entsteht eine stärkere Kluft zwischen dem erwachsenen Ich und dem inneren Kind. Das Kindselbst bleibt unintegriert. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Männer erst durch äußere Krisen einen Zugang dazu bekommen, z. B. durch die Geburt des eigenen Kindes (die rührende Liebe zum Neugeborenen kann die eigene Kindheitswunde sichtbarer machen) oder durch Verluste und Scheitern, die sie emotional aufbrechen. Dann spüren sie plötzlich sehr deutlich diesen jungen Teil in sich, der vielleicht traurig, wütend oder zutiefst verunsichert ist.
Die inneren Ich-Zustände bei Männern können in gewissen Momenten rasch wechseln. Im Beruf beispielsweise funktioniert oft das Erwachsenen-Ich gut – sachlich, kontrolliert. Im privaten Bereich, vor allem in Liebesbeziehungen, wird jedoch häufiger das Kind-Ich angetriggert: Sei es das verängstigte Kind (führt zu Rückzug oder Schweigen) oder das trotzige Kind (führt zu Wutausbrüchen oder oppositionellem Verhalten). Daneben existiert meist auch ein strenger innerer Wächter oder Kritiker, der dem Mann sofort einredet: „Reiß dich zusammen!“ – gewissermaßen ein internalisiertes Abbild jener Haltung, die die Mutter einst hatte, wenn er emotional wurde. Dieser innere Kritiker will das verletzliche Kind zum Schweigen bringen, damit der Mann „funktioniert“. Doch eine echte Heilung kann nur erfolgen, wenn dieses innere Kind Gehör findet und an die Oberfläche kommen darf.
Im Grunde sehnt sich also der verletzte Junge im Mann nach dem, was er nie bekam: Anerkennung, liebevolle Zugewandtheit, das Gefühl, ohne Leistung wertvoll zu sein. Männer drücken diese Sehnsucht oft indirekt aus, z. B. indem sie nach Erfolg streben (was symbolisch die Anerkennung der „großen Mutter“ bringen soll) oder indem sie in Beziehungen unbewusst ihre Partnerin in eine mütterliche Rolle drängen („Du musst mich bedingungslos akzeptieren und meine Launen aushalten“). Solange das unbewusst geschieht, sind Konflikte vorprogrammiert. Wenn ein Mann jedoch erkennt: Da ist ein kleiner Teil in mir, der immer noch verletzt und wütend ist, kann er Verantwortung dafür übernehmen.
Die gute Nachricht:
Auch Männer können lernen, Mitgefühl für ihr inneres Kind zu entwickeln. Was anfänglich vielleicht ungewohnt ist, sich selbst als kleinen Jungen vorzustellen, der um Liebe kämpfte, kann zu einem kraftvollen Schlüssel werden. Sobald ein Mann den unschuldigen, leidenden Anteil in sich würdigen kann, bricht die harte Schale aus Scham und Wut auf und es wird Raum für echtes Fühlen geschaffen. Viele Männer erleben das zunächst als Krise (z. B. Weinkrampf oder tiefe Verzweiflung, wenn die Verdrängung fällt), doch genau in diesem Moment liegt die Chance zur Neuorientierung. Denn erst, wenn die alten Gefühle gefühlt werden dürfen, kann Heilung einsetzen.
Du magst dich fragen: „Wie soll ich zu diesem inneren Kind vordringen? Ich spüre es kaum.“ Hier helfen ähnliche Techniken wie bei Frauen: Imagination, Schreiben, therapeutische Gespräche bzw. solche mit einem heilsamen Effekt. Vielen hilft es, ein Foto von sich als Kind zu betrachten und zu versuchen, sich zu erinnern, was dieser Junge damals wohl fühlte. Oder man stellt zwei Stühle hin – einen für sich als Erwachsenen, einen imaginär für den kleinen Jungen – und beginnt, in Gedanken (oder laut) ein Gespräch mit ihm zu führen. Anfangs mag nichts kommen, aber mit Geduld und Atempausen tauchen Bilder oder Worte auf. Vielleicht hört man auch plötzlich sich selbst als Kind sagen: „Ich hab solche Angst gehabt, Mama zu verlieren“ oder „Warum bin ich nie gut genug?“ Solche Sätze können sehr bewegend sein und zeigen, was das innere Kind die ganze Zeit mitteilen wollte.
An diesem Punkt ist es entscheidend, wie das Erwachsenen-Ich – also der erwachsene Mann – reagiert. Heilung geschieht in der Beziehung zwischen dem Erwachsenen in dir und dem Kind in dir. Wenn es dir gelingt, dass du als Erwachsener sagst: „Ich bin jetzt da für dich. Du bist nicht mehr allein“, passiert etwas Fundamental-Heilsames im Inneren. Viele spüren dann zunächst einen starken Widerstand oder Zynismus (der innere Kritiker lacht vielleicht: „Was für ein Quatsch, Selbstgespräche!“). Doch wenn du diese Hürde überwinden und dranbleiben kannst, kannst du nach und nach Transformationsprozesse durchlaufen:
- Selbstmitgefühl entwickeln
- Trauer und Wut angemessen ausdrücken
- und schließlich dem inneren Kind das geben, was es braucht.
Wenn du dir Hilfe dabei erlaubst und wünschst, erarbeiten wir gemeinsam in einer 1:1-Sitzung konkrete Wege, wie du deine Mutterwunde aktiv angehen und deinem inneren Kind Schritt für Schritt Sicherheit geben kannst. Wichtig ist: Keinem Mann fällt das einfach so zu, es ist mutige innere Arbeit. Doch sie lohnt sich, denn am Ende steht die Freiheit, MANN selbst zu sein – ohne die erdrückenden Schatten deiner Vergangenheit.
Die Session kann online via Zoom oder telefonisch, via FaceTime oder WhatsApp-Video stattfinden.
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